

Schlenker
in unserem Alltag
Unsere Autorin Jana
Die Tage sind regelmäßig voll. Ob mit Geregeltem oder Dingen, die uns scheinbar ständig von dem abhalten wollen, was wir gerade schaffen wollten, endlich abschließen oder einfach mal machen wollten. Die Arten des Machens sind dabei so vielfältig.
Vor zwei Tagen habe ich einen Film gesehen, der mich in der Mediathek schon immer mal wieder triggerte, aber von mir bisher nicht angeklickt sein wollte. Diesmal tat ich es, weil es unumgänglich ist so etwas zu vermeiden, wenn der Trigger einmal wahrgenommen.
Dieser Film handelte von einer 50jährigen, die eben all jene Dinge erlebt, die sehr häufig in dieser Zeit des Lebensalters zum Alltag gehören. Die „alte Mutter“, die flügge Tochter, das eigene Eheleben (oder in dem Fall geschiedene) sowie die eigene berufliche Verwirklichung und neue romantische Gefühle. Es war alles dabei und doch ein gelungener roter Faden („Immer der Nase nach“).
Und dann gab es da diese Szene, wo sie ihrer Mutter hilft beim Ballast loswerden, dem Aufräumen von Dingen aus der Vergangenheit, weil sich die Mutter auf einen neuen Lebensabschnitt vorbereitete. Dabei kommt die Protagonistin in eine melancholische Stimmung und fragt eben ihre Mutter, was sie ändern würde, könnte sie ihr Leben nochmal leben. Die Antwort war kurz und ein Treffer, der bei mir etwas mächtig ins Klingen brachte: „Mehr schlenkern.“, meinte sie. Ihre Tochter fragte nochmal nach, was genau sie damit meinte. Ihre Mutter präzisierte mit den Worten: „Ich würde mehr Schlenker machen. Die haben gefehlt. Sich einfach mal treiben lassen.“.
Spannend ist es mit Sätzen, die lange nachwirken oder immer wieder durch den Kopf surren. Diese zwei, drei kurzen Sätze waren solche. Heute nehm ich mir den Schlenker vom Alltag (meine Familie hat es ja gerochen und sich verflüchtigt mit den Fahrrädern und mir die Einladung zum Schlenkern geschenkt, förmlich vor die Füße gekotzt! Ich muß es leider so deftig schreiben, weil es, wie mir scheint, manchmal derartig plump und heftig zu sein hat, damit wir es in unserem Alltag, den Gewohnheiten, überhaupt sehen, hören, wahrnehmen).
Nun sitz ich hier und verarbeite mal wieder auf die meine Weise, über das Schreiben. Vor geraumer Zeit hatte ich auch schon einmal den Moment gespürt, der leicht nach Erkenntnissen roch, ein zartes Lüftchen, was allerdings zu schnell wieder von irgendeinen auswärtigen Sturm namens Job, Kids oder ähnlichem davon geweht war. Die Überschrift blieb mahnend auf meinem Desktop „Sich erlauben“. Jetzt, wo ich den Moment ergriffen habe, in der Sonne auf MEINER Terrasse sitze und mein Akku noch Raum für Erkenntnisse schenkt, erkenne ich, dass diese Überschrift und die nachhallenden Sätze aus dem Film verwandt zu sein scheinen.
Erschreckend finde ich, wie schwer es ist, sich allein in dieses „einfach mal einen Schlenker machen“ oder „sich erlauben mal treiben zu lassen“ hinein zu fühlen. Ich brauche das Gefühl, diese Ahnung dessen in mir um wiederum „abgleichen“ zu können, was mich hindern lässt, welche inneren Barrieren sich kistenschiebender Weise aufbauen. „Einfach mal LECK MICH AM AR…“ machen und es dann auch frei von Gewissensbissen, länger als 20 min und ohne Nachdenken über das Ausgeschlagene tun, boah…das hat es in sich.
„Aber ich muß doch…“, „Die Kids brauchen doch…“, „Wenn ich das jetzt nicht, dann…“ – Wahnsinn, was da für Sätze plötzlich in die Presche springen wollen. Was ist es? Die Angst, seinen Job oder seinen Auftrag zu verlieren, wenn wir einfach mal nicht das tun, was normal wäre, weil es aber heute sowieso nicht erfolgsverwöhnt wäre, wenn wir dem wie gewohnt nachgehen würden? Seit einigen Tagen zeigt meine Hand inkl. Arm, bis hoch zum Nacken mittlerweile sehr deutlich an, dass es Zeit, für eben genau einen solchen Schlenker wäre. Anzeichen ist da, war auch klar im Innern präsent, weil ne Pause einfach mal genial wäre. Und jetzt kommt’s: wie genau mach ich das? Rechner aus, sich einfach mal auf die Kids einlassen, Wäsche waschen und der Trommel beim Waschen zu sehen? Wie fühlen sich die Schlenker an, was genau tut Frau dafür, um auf der Toto-Liste „Schlenker für heute erledigt“ setzen kann (zum Glück gibt es To-Do-Listen, damit die Ansage nochmal unterstrichen ist.)?
Kinder haben eine angeborene und verdammt effiziente Fähigkeit einen ständig aus jenem roten Faden, der gerade gefühlt auf dem Weg zum Spinnen war, herauszubringen. Aber nun sind sie da, wie es so schön bei tassen.tv die Teekanne zum missverstandenen Weihnachtskännchen heißt. Sie haben uns heute klar eingeladen (Also der Ton war schon ein anderer, aber es ist im Grunde ein Arschtritt. Einladung klingt halt liebevoller.) mit der Ansage und dabei klar nach draußen weisenden Augen, ob wir nicht Lust hätten eine Runde laufen zu gehen. Es ist Freitag! Die Sonne scheint! Ich denk mir, das ist mir zu stressig, könnt ihr vielleicht alle gehen und ich mach mal nichts. Nichts machen – hm. Ganz schwierig an einem Freitag vormittag! Mein Mann und die Hunde folgen der Einladung mit den Worten: „Da hast du mal Ruhe für dich.“. Jippie. Was mach ich jetzt mit der Ruhe? Ich schreibe 😉 Aber auch das ist gut, weil das auch Ich bin, weil das wie Reinigung ist von Gedanken, Erkenntnisbrocken, die ich auf dem Weg vom letzten Reinigen bis dato noch zusammen sammeln und zu schlüssigen Sätzen in mir und auf diesem Kanal formen möchte. Geformt, können sie fließen, aus mir raus und die bis dato besetzten Synapsen frei machen für neue Brocken.
Die Frage ist noch immer nicht beantwortet: Wie fühlen sich diese Schlenker an? Ist es ein Ausbrechen aus dem Alltag? Ist es ein sich mal eben etwas erlauben, was im Alltag sonst untergeht? Sind Schlenker etwa wir nehmen uns spontan ne Woche und erweitern den Horizont mal wieder außerhalb unserer aktuellen Heimat? Gefühlt, ist es für jeden etwas anderes und darf sicher auch jedes Mal etwas anderes sein. Es gibt wohl kein Maß, ab wann es eine Auszeit ist und wann es Schlenker heißt. Was die Mutter in dem Film damit meinte, sind vermutlich (so hab ich es verstanden) die Dinge, die wir so gern in unserem Leben machen wollen und dann aber aufgrund des „das macht man aber so!“ häufig ins Lebensalter verbannt. „Das kann ich dann machen, wenn die Kinder raus sind, wir in Rente..“ und und und. Wenn das Leben klar schreit, dass gefühlt gerade nichts im Lot ist, der Job einfach noch immer nicht glücklicher macht oder die Beziehung trotz Stoßlüften den frischen Wind verloren hat. Das sind wohl die Momente, die sie meinte, die zu Einladungen für Schlenker werden könnten. Das allerdings macht es nicht weniger anspruchsvoll (Und auf dem Punkt ist der fahrende Bäcker am Hupen und die Baggage eingerollert. Nebenbei kommuniziert der Akku auch.).
Ich lebe bereits ein Leben voller Freiheiten für Schlenker, habe also den puren Luxus. Und doch lebe ich jene Schlenker selbst auch nicht. Viel erschreckender finde ich allerdings, dass dieses Gefühl des „Sich-treiben-lassens“ im pflichtbewussten Job-Dasein, Eltern-Dasein und auch Partnerin-Dasein scheinbar noch viel zu selten gelebt ist. Klar, kann ich mich auch mal einfach nur in die Sonne legen und ein Buch lesen. Das schaff ich schon noch. „Was für ein Schlenker!“, denkst du jetzt vielleicht. Wie recht du hast. Malen, ist ein Sinnbild für das, was ich mit „Mal wieder Ausbrechen“ verbinde, mit dem kompletten Loslassen vom Alltag, von Pflichten, Terminen oder Erwartungen. Wenn ich mir dann innerlich vorstelle, mich mal wieder auf los gelassenes Malen einzulassen, spüre ich wie schwierig es ist auf dieses Niveau zu kommen und gleichzeitig wie selten Zeit, Raum und Muse für so etwas zusammen kommt.
Es wie Surfen. Es ist eine ganz bestimmte Welle, Frequenz, Gefühl, was es braucht, um diese Form der Kreativität auszuleben. Bis die Welle kommt, die eben den Ritt mit dem Board erlaubt, dass es tatsächlich ein tragendes und zugleich fließendes Gefühl verschafft, braucht Zeit und Geduld. Gleichzeitig sind es aber auch die kleinen Wellen, die uns auch mal nur ein kleines Stück des Weges die Ahnung davon vermitteln können. Daher gilt es womöglich eben auch mal die kleine, nicht so perfekte Welle zu nehmen und dann eben nur für einen kurzen Moment in die Ahnung der kreativen Welle hinein zu spüren. Wenn wir immer mal wieder diese Ahnung fühlen, riechen, kurz in unserem Herzen flattern lassen können, ist es im Grunde eine schöne Vor-Einladung zur großen Welle und vielleicht dienen diese auch dazu, dann den richtigen Moment zu nehmen und nicht mehr auszuschlagen.
Dann kann uns kein Job, Auftrag, nörgelndes Kind oder vibrierendes Handy abhalten, die Tür zu öffnen und einfach treiben lassend innerlich LECK MICH AM AR… manifestierend den Flur passieren, dabei noch das Surfboard schnappend und es dann einfach sein zu lassen, was sein will: Schlenkern, so lange, so allein und so intensiv wir auch immer wir es gerade wollen. Was für ein Abenteuer.
Ich bin gespannt auf den nächsten aufkommenden Wind und die ankündigenden Wellenberge
– lasst uns surfen, Mädels!