

Voll erwischt
und das mit Tiefgang
Unsere Autorin Jana
Mich hat ein Buch im wahrsten Sinne volle Breitseite „erwischt“:
Nach langer Zeit hab ich es doch mal wieder geschafft ein Buch zu lesen. Es war lange zäh und ich habe mich zwischenzeitlich ehrlich geschrieben zwingen müssen „dran zu bleiben“. Es handelt sich um „Die kleine Bäckerei des Glücks.“ von Bharti Kirchner.
Die Handlung möchte ich im Grunde gar nicht weiter hervorheben. Kurz zusammengefasst, um die Passagen, um die es später in diesem Beitrag geht, besser verstehen zu können: eine passionierte Bäckerin mit indischen Wurzeln hat eine eigene kleinen Bäckerei in Seattle und landet im Hamsterrad des Unternehmertum. Sprich, aufgrund von vielen Tätigkeiten, die das Unternehmerdasein mit sich bringt, verliert sie ihre Leidenschaft zum Backen. Dabei ist eine Kreation von ihr besonders gefragt, wie auch viele andere Köstlichkeiten (und ich schwöre Dir, es gibt verdammt viele Stellen, die Du unbedingt überfliegen solltest). Und es sind definitiv Köstlichkeiten, allein schon, wenn man den detailreichen Beschreibungen mit seinen inneren Gaumenknospen verfolgt. „Sunya Cake“ (der Name der Protagonistin ist Sunya) ist eben jener Olymp ihrer Backkunst, welche den entsprechenden Erfolg feiert. Selbst diese Torte, für die sie sich immer besonders viel Zeit und Muse genommen hat, gelingt ihr nicht mehr. Über spannende Umwege (der/die Leser:in kann die kleinen Häppchen zwischendrin ganz gut greifen und ahnen, worauf es hinaus läuft) landet sie in Japan bei einer Backschule „Apsara-Bäckerei“. Diese hat sich zur Aufgabe gemacht Heilung durch Backen zu vermitteln. Spannender Ansatz und gleichsam kann wohl jede:r Leser:in ahnen, dass die Tätigkeit des Backens ein Sinnbild für vieles Andere sein kann.
Jedenfalls habe ich es innerlich tatsächlich herbei gesehnt, dass sie endlich in Kapitel 40 in Japan landet und die kommenden 15 Tage ausschließlich in dieser Bäckerei backen wird – ohne jeglichen Kontakt zu ihrer Familie, Außenwelt oder ähnlichem.
Und dann ging es im Grunde Schlag auf Schlag. In den beiden Kapiteln 41 und 42 steckte – für mein Empfinden – so viel Tiefe drin, dass ich zeitweise durchatmen mußte. Bei einem Satz sind mir die Tränen förmlich in die Augen geschossen. Ehrlich geschrieben, hab ich die Tragweite dessen, a) weswegen es mich derart „erwischt“ hat und b) was das genau für mich bedeutet noch nicht fassen können. Das allerdings ist aktuell gar nicht Gegenstand der Sache. Ich bin richtiggehend froh darüber, weil es wie ein Sahnebonbon ist, was vor mir zu liegen scheint und ich bei einer geeigneten Gelegenheit genüsslich vom Papier befreien möchte.
Jetzt allerdings möchte ich Dir die entsprechenden Passagen nicht mehr vorenthalten. Womöglich werden sie eine andere Wirkung auf Dich haben, weil sie eventuell aus dem Zusammenhang gerissen sind bzw. Du nicht in den Genuss der vorangegangenen 40 Kapiteln gekommen bist. Ich habe schon echt viele Bücher in meinen über 4 Jahrzehnten andauernden Leben lesen dürfen und kann mit 100%iger Sicherheit behaupten, es gab wirklich maximal eine Handvoll Bücher, welche ich unmittelbar beim Lesen mit einer Markierung oder ähnlichem versehen wollte. Sergio Bambaren oder Paulo Coelho hatten dieses Level sicher auch immer mal wieder mit ein oder zwei Sätzen mit diesem „Boom“-Effekt.
Bharti Kirchner hat mich in diesen wenigen Seiten im letzten Drittel ihres Buches erwischt, also mal so richtig. Wie, wenn die Eltern draußen eigentlich die Pflanzen mit dem Schlauch gießen und eine Windböe das daneben stehende Kind einfach mal komplett geduscht wird.
Der Spannungsbogen sollte jetzt ausreichend gespannt sein und nehmt es mir nicht krumm, wenn ihr nach dem Lesen der folgenden Passagen vielleicht ein „Naja, joa, Ist mir jetzt aber nicht neu. Das hat der und der auch schon so ähnlich mal in dem oder dem Buch geschrieben.“ – Mag sein. Ich saß auf der Hollywood-Schaukel in der Sonne, habe – wie immer – mit der Protagonistin meine imaginären Hände in Mehl getaucht und neben mir ihren / meinen sensei (Lehrer), namens Matsumoto, hören können.
Der erste Satz von ihrem Lehrer, der für mich unheimlich viel Botschaft auf mehreren Ebenen beinhaltet war:
„Backen spiegelt die geistige Verfassung des Menschen wider«, schloss Matsumoto. »Verstellen ist nicht möglich.“.
Er führte seine Einweisung für Sunya fort mit den Worten:
„Bei den Backübungen offenbaren die Schüler Einstellungen und Gewohnheiten, die eng mit ihrem Leben verwoben sind, die vielleicht bisher nicht von Vorteil für sie waren, sondern nur Verwirrung und Frustration gestiftet haben. In dieser isolierten Umgebung ermutige ich sie, nach der Verbindung zwischen diesen Einstellungen und Gewohnheiten und ihren Backproblemen zu suchen. Ist dieser Zusammenhang erst einmal hergestellt, wird rasch offensichtlich, wie sich diese Einstellungen und Gewohnheiten auf andere Bereiche ihres Lebens auswirken.“.
Boom! Was bedeutet das für mich? Also derjenigen, die gerade ein bisschen in einer Sinnkrise steckt, was ihre kreativen, gestalterischen Tätigkeiten betrifft? Wie gesagt, das ist eines von den angesprochenen Sahnebonbons.
„Sie müssen Ihr Ego an der Küchentür abgeben.“
Er bringt es auf den Punkt, womit für ihn und seine Lehren alles beginnt. Sich dem zu überlassen, weswegen man ja eigentlich in eine Schule geht bzw. etwas Neues erlernen will, bedarf eines Selbst was bereit für alles ist, was das kommen möchte Im Grunde also wie ein Schwamm und dabei kann jeder neue Auftrag, jeder Tag, jede Begegnung eine solche „Schule“ verkörpern.
„Vielleicht zögern Sie.« Matsumoto gibt die trockenen Zutaten in die Teigschüssel. »Unser halbes Leben besteht aus Widerstand. Akzeptieren Sie ihn. Sehen Sie ihn als Begleiter auf dieser Reise. Er wird an Kraft verlieren, langsam schwinden und Ihnen einen neuen Weg weisen.“.
Widerstand als ein Signal zu sehen, was a) anzeigt, dass es wohl etwas gibt, weswegen überhaupt innerlich Widerstand aufkommt, um b) diesen wiederum als Einladung zu betrachten, weiter darauf einzugehen und zu forschen, was der Grund dafür ist. So treffend und gleichzeitig auch auf eine so angenehme Weise beschreiben, macht selbst den Widerstand zum Freund bei der nächsten Gelegenheit, wenn es dem/der Leser:in im eigenen Leben ergeht.
Das Mantra „Lebe im Jetzt“ und das in vielen abgewandelten Botschaften, gibt es seit Jahrzehnten und länger sehr präsent in unserer westlichen Welt. Und doch hat es mich diese Passage und speziell der Schlusssatz verständlicher, einfacher verinnerlichen lassen:
„Ich bitte meine Schüler, sich ganz auf die Aufgabe zu konzentrieren, mit der Tätigkeit eins zu werden. Machen Sie sich frei von Vergangenheit und Zukunft. Leben Sie im Hier und Jetzt, egal, was Sie gerade tun. Wir werden in jeder Sekunde des Tages wiedergeboren.“.
Vor dem Hintergrund, dass ich gerade selbst am Hadern bin, da die Grafik an sich ein Handwerk ist. Jeder Mensch kann das Handwerkszeug erlernen und auf unterschiedliche weise stimmig oder weniger stimmig anwenden. Wie sehr der/die „Handwerker:in“ allerdings fähig ist, sein Ego beim Gestalten im Auftrag eines anderen hinten an zu stellen und sich ganz auf die Welle des Auftraggebers einzulassen, ist für mein Empfinden die ganze Kunst. Hierbei entscheidet sich, ob ich als Ausführende die richtigen Handwerkszeuge auf die Weise angewendet habe, dass das für den Kunden optimalste Ergebnis erschaffen wird. Sunyas sensei formuliert es auf diese Weise:
„Wenn wir glauben, ein Handwerk zu beherrschen, ist es an der Zeit, ganz von vorn anzufangen. Das Leben ist nichts als eine Reihe von Neuanfängen.“ und weiter: „Ich werde ständig gefragt: ›Sie wollen, dass ich noch mal dasselbe mache?‹ Nun, wir haben hier eine Redensart: ›Man backt nie zweimal das selbe Brot.‹“.
Je länger ich in dem „Geschäft“ bin, diesem Handwerk tagtäglich meine – bzw. mittlerweile unserer Brötchen verdiene – wird mir bewusst, dass nicht nur die Fähigkeit des Einlassens auf denjenigen oder diejenige Gegenüber das goldene Ei des Designs ist. Erfahrungen machen ebenso einen großen Anteil aus. Wobei das gleichzeitig auch eine Gefahr für „das selbe Brot“ werden kann. Mit den Worten ihres Lehrers ausgedrückt:
„Gutes Gebäck ist mehr als nur Mehl, Zucker und Butter. Alles, was ich bin oder je gewesen bin, fließt in die Zubereitung.“.
Das ist so wahr und alles in mir findet einen so tiefen Frieden bei diesem Satz.
Die Steigerung der Erkenntnis dessen findet sich meines Erachtens in Matsumoto folgendem Satz:
„Biskuit wird leicht fad, es sei denn, Sie, seine Schöpferin, hauchen ihm Leben ein.“.
Es ist scheinbar so primitiv das Backen als Sinnbild – in eben jener Backschule als ein Weg Heilung für sich zu erfahren – und doch so wahnsinnig bezaubernd, dass wohl jede:r die Metapher greifen kann. Gleich, ob es die Arbeit mit Holz ist oder das Naheliegendste zum Backen, das Kochen. Jede Tätigkeit, die mir am Herzen liegt, kann für das Wort „Backen“ in all den oben aufgeführten Passagen ausgetauscht werden.
Die letzte Passage, die ich hier in Auszügen aus dem Buch von Bharti Kirchner genutzt habe, hat mir die oben bereits beschriebenen Wassermengen in die Augen getrieben. Mit jedem neuen Lesen der selben hab ich das Gefühl darin steckt für mich ein Neuanfang. Eine Freundin von mir, wird vermutlich in keinster Weise leise lachend, sofort wissen worum es geht. Auch, wenn ich noch nicht 100%ig davon überzeugt bin, dass es die von ihr bereits öfter erwähnte Idee ist, sondern vielleicht etwas subtiler – birgt sie Potential und das für jeden von uns. Denn auch hier kann ein jeder das Wort „Rezept“ gern gegen alles mögliche eintauschen, was einem festgelegtem Konzept, Handlungsmuster, Geschäftsidee oder anderem ähnelt. Hintergrund ist, dass ihr Lehrer ebenso wie sie eine ganz besondere Torte kreiert hat, die das Herzstück bzw. die Krönung seiner Backkunst darstellt.
„Sie müssen viel herumexperimentiert haben, bis Sie auf dieses perfekte Rezept gestoßen sind.« Er lächelt. »Warum halten Sie es also nicht geheim, denken Sie? Ich weiß, dass viele Bäcker nicht gern zu viel von ihrer Kunst preisgeben. Für mich ist es genau andersrum. Wenn ich mein Wissen horte, fixiere ich mich zu sehr darauf. Dann kann ich mich nicht weiterentwickeln und etwas Neues kreieren.“
Am liebsten hätte ich jetzt hier mit dem Beitrag geendet. Einfach, um die Tiefe dieser Aussage nachhallen lassen zu können und es nicht mit meinen persönlichen Zeilen in ihrer Wirkung zu mildern. Allerdings gibt es noch einen Satz, den ich Dir hier gern nach der für mich so einfühlsamen und bewegenden Botschaft ihres Lehrers, hervorheben möchte. Mit diesem geht er einen Schritt weiter. Denn bei wem auch immer diese vielen Aussagen auch etwas zum Klingen gebracht haben, vielleicht sogar eine Regung, eine Ahnung, wofür es konkret angewendet, umgesetzt werden kann. Mit diesem Satz von Matsumoto werde ich diesen Buchkommentar schließen:
„Wenn man dem Projekt einen Namen gibt, nimmt es Gestalt an.“..

Alles zum
Buch:
Bharti Kirchner
DIE KLEINE BÄCKEREI DES GLÜCKS | Roman
Übersetzt von Antje Althans
Erschienen als eBook bei dotbooks – und überall zu finden, wo gute eBooks angeboten werden